Nein, heute ist nicht Fasnacht, ich sehe immer so aus. Und überhaupt, das ist Zürich, wir feiern keine Fasnacht. Wir brauchen sie nicht; im Gegensatz zu den Gepflogenheiten auf dem Dorf können wir nämlich in der Stadt weitgehend so aussehen, wie wir wollen – dachte ich zumindest. Letzte Woche musste ich mich allerdings von den Hüter/innen der Konventionen eines Besseren belehren lassen.
Und wie du wieder aussiehst!
2007 brachten Die Ärzte einen Song raus, der meiner Grossmutter aus der Seele gesprochen hätte. Natürlich ohne die Ironie.
Und wie du wieder aussiehst – Löcher in der Hose, und ständig dieser Lärm
(Was sollen die Nachbarn sagen?)
Und dann noch deine Haare, da fehlen mir die Worte – musst du die denn färben?
(Was sollen die Nachbarn sagen?)
Denn die Löcher in der Hose, dem Kleid, dem Pulli, das war ein endloses Thema. Und diese Schminke! Ich wurde mit 16 zum Pseudo-Gruftie (nur die Ästhetik, nicht die Musik) und es liegt auf der Hand, dass die Kleidung auch dazu diente, mich von den normalen Leuten abzuheben. Denn es gibt sie, die Garderoben-Genormten: Jeans und T-Shirt, Jeans und Pulli, Jeans und Hemd. Kleidung ist Code, und wir urteilen danach.
Kleider machen Leute
Seit Anbeginn der Zeit ist die Kleidung der äussere Indikator unseres Status in der Gesellschaft. Anhand der Gewandung kann man feststellen, wann, wo und wie wohlhabend jemand gelebt hat. Wir haben alle von der Schule noch die prächtigen Gewänder der Aristokratie des 18. Jahrhunderts im Kopf. Haha, à propos Kopf, Marie-Antoinette und so. Der französische Hof zu jener Zeit war sicherlich der Inbegriff der Dekadenz, was sich auch deutlich in den Accoutrements der damaligen Mode niederschlug.

Auch in der Neuzeit können wir oft an der Kleidung einer Person ablesen, welcher sozialen Klasse diese angehört, welcher Religion sie sich zugehörig fühlt, oder ob sie farbenblind ist. Ja, Letzteres war ein Scherz. Über die Kleider hinaus sind auch Haare, Makeup, Nägel und Schmuck Hinweise auf die Herkunft einer Person. Nicht umsonst wurden den afrikanischen Sklav/innen auf den Schiffen nach Amerika die Haare geschoren: die Frisuren waren stammestypisch und identifizierbar. Da ihre Identität ausgelöscht werden sollte, nahm man ihnen die Haare. Noch heute werden in den USA farbige Kinder von der Schule nach Hause geschickt, weil sie „zu ethnisch“, also zu nicht-weiss aussehen mit ihrer natürlichen Haarpracht. Beispiele finden sich wie Sand am Meer, zum Beispiel hier, hier und hier.
Ich erinnere mich an ein grossartiges youtube-Video, in dem eine schwarze cis Frau und eine schwarze trans Frau darüber sprechen, was Maniküre für sie bedeutet. Wie zum Beispiel die trans Frau sich die längste Zeit nicht getraute, eine machen zu lassen, oder wie die cis Frau an eine private Highschool kam, und sich dort ihrer „Ghetto-Nägel“ bewusst wurde. Und wenn wir das hören, dann wissen wir ganz genau, was sie meint mit „Ghetto-Nägeln“: übernatürlich lang, schreiend bunt, womöglich mit Steinchen. Denn wir wissen ganz genau, was es bedeutet, wenn jemand „billig“ aussieht.

„Pretty Woman“ hat es uns perfekt vor Augen geführt: die knallig angezogene, laut geschminkte billige Hure verwandelt sich mittels neuer Garderobe, Hochsteckfrisur und „dezentem“ Makeup in die respektable, beige-farbene Frau von Welt.
Wenn man zu cool ist, um sich mit „Klasse“ zu befassen
Den Stein des Anstosses lieferte letzte Woche nun izzy. izzy ist ein online-Magazin für die Neuzeit. Der Slogan propagiert „Mut zur Meinung. Echt jetzt.“ izzy ist so cool, dass es sich in Kleinbuchstaben schreibt. Natürlich. Als Gen X Person bin ich nicht die Zielgruppe. Aber gut. izzy ist normalerweise nicht so daneben. Die Leute, die das Ding machen, bedienen sich oft des Humors, um wichtige Themen zur Sprache zu bringen. „Ein bisschen so wie Buzzfeed oder Watson?“ fragst du jetzt. Nicht ein bisschen, Schatz: genau so. Gerade wieder habe ich einen Beitrag gefunden, dessen Drehbuch verbatim aus einer englischsprachigen Vorlage übernommen wurde. Was ja eigentlich auch legitim ist, so plus/minus, wenn man ein aufstrebendes Indie-Ding ist, mit tausend Enthusiasmus und null Budget. Ist es aber nicht. izzy gehört nämlich der Ringier AG, ihr wisst schon, denen vom Blick. Und während es vermessen wäre, vom Verlagshaus des Blick irgendwelche journalistische oder andere Integrität zu erwarten, hätten sie zumindest das Budget für originelle Inhalte, nicht wahr?
Im relevanten Beitrag ging es um Empfängnisverhütung, ein Thema also, das nicht nur extrem wichtig sondern auch potentiell unterdiskutiert ist. Es ist erschreckend, wie gerade junge Leute oft erschreckend wenig über eine so zentrale Frage des täglichen Lebens informiert sind. Und da, wie gesagt, Humor oft eine gute Trägersubstanz für Information ist, werden hier auch noch die besonders effektiven Verhütungsmittel wie schlecht gezeichnete Augenbrauen und Socken in Sandalen vorgestellt.
Schlecht. Gezeichnete. Augenbrauen.
Äussere Attribute als Instrumente der Unterdrückung
Das Bild, das von izzy benutzt wird, kenne ich bereits. Unter anderem kommt es in der Liste der „28 Augenbrauen-Fails, die dich schaudern lassen“ vor. Was mir an der Liste aufgefallen ist, ist die Demographie der dort Fotografierten. Von den 28 sind nämlich neun nicht weiss, bei etwa zwölf sind die Augenbrauen klar als Kunst oder Kostüm gedacht. Diese Faktoren können überlappen. Weitere drei sind als als Häftlinge identifizierbar. Etwa vier weitere, und da bewege ich mich auf zugegebenermassen dünnem Eis, können anhand anderer Merkmale (Kleidung, Umgebung) einer tieferen sozialen Klasse zugeordnet werden. Das spezifische Foto zeigt eine Person, die möglicherweise Latina ist, mit grellem Makeup und eben diesen furchtbar schlechten Augenbrauen. Das Video bedient sich also des Klischees dieser billigen Frau, die, weil sie so aussieht, wie sie aussieht, unfickbar ist.
Es ist ein traditionsreiches, gut etabliertes System, Frauen ihres Äusseren wegen als „unfickbar“ zu bezeichnen. Unfickbar sind insbesondere fette Frauen. Aber auch sonst kann man als Frau nur verlieren. Wir sind unfickbar wegen zu viel oder zu wenig Gewicht, weil wir blond sind, weil wir nicht blond sind, weil wir hässliche Emanzen sind, weil wir sonst hässlich sind, weil wir zu gut aussehen und deshalb sicher arrogant sind, etc. Die Liste ist nicht sprichwörtlich endlos, sie ist literally endlos, weil ja auch immer mal wieder was dazu kommt, sobald man auch nur blinzelt.
Was mich aber hier insbesondere verstört hat, ist der Umstand, dass es sich bei einigen der Macherinnen um Feministinnen handelt. Nur, welche Feministinnen würden sich öffentlich über eine Latina lustig machen, die ggf. nicht weiss, wie weit ihr Bild schon herumgekommen ist? Was für eine Art Feminismus gibt eine farbige Frau auf diese Art und Weise der Lächerlichkeit preis?
Einige Frauen sind gleicher als andere
Nun. Die Antwort hat Geschichte. Der weisse Feminismus hat schon immer gerne seine farbigen Schwestern den Wölfen zum Frass vorgeworfen. Während in Europa nicht ganz die Verhältnisse herrschen, die in den USA zu einem tiefen Graben zwischen den Ethnien geführt haben, ist es doch so, dass Frauen immer noch die Hüterinnen der Konventionen für einander sind. Wir kritisieren voneinander wie wir aussehen, was wir anhaben, ob wir die Haare in gesellschaftlich anerkannten Intervallen waschen und ob wir uns als Mütter korrekt verhalten. Im Schweizer Kontext, wo der weisse Feminismus auch der latent linksgeneigte Feminismus der oberen Mittelschicht ist, zeigt es sich beispielsweise in der Haltung, dass jede Muslima zwingend unterdrückt sein muss, und es selbst natürlich einfach nicht schnallt, oder dass alle Sex-Arbeiterinnen immer und ausschliesslich Opfer von Menschenhändlern sind. Für sie ist Beyoncé nicht schwarz genug, weil sie sich ja schliesslich die Haare blond färbt, und nicht feministisch genug, weil schau mal, wie die wieder angezogen ist. Was übrigens auch der Grund ist, warum sich so wenige farbige Frauen an den „Slutwalks“ beteiligen: wir haben nicht ansatzweise die gleiche Bandbreite von Akzeptanz was unser Auftreten betrifft. Shaming auf der Basis von Aussehen ist dermassen von Rassismus und Klassismus durchzogen, dass nur weisse Frauen so tun können, als wüssten sie nichts darüber.
Feminismus ist toll, wir sind alle Schwestern und die dritte Welle ist sooo tolerant – solange wir in die Schablone passen. Pech hast du halt, wenn deine Augenbrauen scheisse aussehen.
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