Gerade letzte Woche habe ich mich darüber ausgelassen, wie sehr ich es hasse, nach meiner Herkunft befragt zu werden. Beim Schreiben jenes Posts ist mir aufgefallen, dass die Thematik viel verzwickter ist, als ich im ersten Ärger – machen wir uns nichts vor, Ärger ist in 90% meiner Posts die treibende Kraft – erfasst hatte. Als gemischtrassiger Mensch aufzuwachsen stellt einen gerne vor Probleme, die man zum Beispiel als Kind von Eltern der gleichen Nationalität so nicht kennt. Denn als Kind ist eine Frage sehr zentral: wo gehöre ich eigentlich hin?
Man kann der Verpackung nicht alles glauben.
Mein Aussehen ist kulturell nicht eindeutig, oder zumindest war es das nicht, als ich noch jünger war. Das hat weniger mit mir zu tun als mit der Weltgeschichte, die meine sichtbare Ethnie in den letzten Jahren stark in den Vordergrund gerückt hat. Wenn meine Physiognomie dereinst nur für andere Araber/innen und für Franzosen/Französinnen eine eindeutige Zuordnung zuliess, weiss inzwischen auch der Rest der Welt in etwa, wie „diese Leute“ aussehen. „Diese Leute“ sind heutzutage Flüchtlinge, Terroristen oder beides. Entsprechend weckt mein Äusseres Erwartungen, denen ich nicht gerecht werden kann (oder will). Gerade eben, vor ca. 40 Minuten, bin ich wieder angesprochen worden. Ein Mann ging an mir vorbei, drehte sich zu mir um und sagte: „Assalamu alaikum.“ Ich nickte zum Gruss, und er fragte, „arabiya?“, also ob ich Araberin sei. Da ich gerade nicht in Stimmung war, meine ganze Familiengeschichte auszubreiten, sagte ich nein. Und während das nicht ganz richtig ist, ist es auch nicht falsch, denn meine Basisprogrammierung ist nun mal nicht arabisch. Zum Beispiel:
- Ich bin Protestantin, nicht Muslimin.
- Ich spreche kein Wort Arabisch.
- Religionen, die keinen Speck zulassen, sind für mich ungeeignet.
- Ich bin ein Bünzli.
- Ich habe kein „südländisches Temperament“.
- Ordnung ist wichtiger als „Lebensfreude“.
- Ausserhalb von Clubs und Konzerten bevorzuge ich Lautstärken im unteren bis mittleren Bereich.
Eine amerikanische Bekannte, der ich neulich Hilfe beim Umgang mit der Schulleitung ihrer Kinder angeboten hatte, sagte nach einem kurzen Abriss meines Lebens: „Oh mein Gott! Du bist ja richtig von hier! Du bist effektiv eine Schweizerin!“ Da wir uns an einem Treffen für farbige Frauen kennengelernt hatten und uns ausschliesslich in Englisch unterhielten, nehme ich ihr ihre Überraschung nicht übel. Natürlich ist das aber auch die Wahrheit: ich bin hier aufgewachsen, ich kenne nichts anderes. Ich bin, kulturell gesehen, Stadtzürcherin.
Die Suche nach Identität
Worum ich die Second@s immer beneidet habe als Kind war ihre sichere kulturelle Identifikation. Auch wenn sie als Kinder von Einwanderer/innen in einem Land aufwuchsen, das nicht das ihrer Eltern war, sprachen sie doch deren Sprache, feierten ihre Feste und verbrachten die Sommerferien in deren Heimatdörfern. Meine Schulkamerad/innen waren inbrünstige Italiener/innen, Spanier/innen oder Portugies/innen, und die Schweiz war langweilig, unwichtig, und natürlich mangelte es ihr an Lebensfreude. „Zuhause“ war alles besser.
Ich hatte kein alternatives Zuhause. Meine Mutter ist Schweizerin, mein Vater ein schwarzer Ägypter mit tunesischem Pass. Weder habe ich die Sprache gelernt, noch spielte die Kultur in meinem Aufwachsen eine wesentliche Rolle. Meine Muttersprache ist Bärndütsch. Ich bin von hier, aber nicht offensichtlich genug. Die einzige Identität, die ich kannte, wurde wegen meiner Hautfarbe immer in Frage gestellt.

Natürlich weiss ich inzwischen, dass meine ehemaligen Klassenkamerad/innen ebenso Schweizer/innen sind, wie ich selbst – ob ihnen das nun passt oder nicht. Die Kultur, in der wir aufwachsen, prägt uns, Gene hin oder her. Einige von ihnen mussten das auf die harte Tour herausfinden, als sie in ihren Zwanzigern ins gelobte Land auswanderten und feststellen mussten, dass sich das tägliche Leben dort stark von der Sommerferien-Atmosphäre unterschied.
Wie schwarz ist schwarz genug?
Dann ist da noch die Sache mit der Farbe, an und für sich. Ich war erfreut und erstaunt, als eine Freundin von mir mich in eine Facebook-Gruppe für farbige Frauen einlud. Aber ich kam mir auch ein bisschen fehl am Platz vor: ich habe so viele Privilegien, die Farbige mit dunklerer Haut nicht haben. Ich fühlte mich ein bisschen wie eine Hochstaplerin, die Raum einnimmt, die sie nicht verdient. Dieses Gefühl bin ich nie ganz losgeworden, auch, wegen der Nuance, die der Schweizer Rassismus mit sich bringt. Während sich dieser nämlich natürlich auch an der Farbe des Individuums orientiert, verfliegt normalerweise 80% der Problematik, sobald man Schweizerdeutsch spricht. Damit meine ich notabene nicht die, die Schweizerdeutsch als Fremdsprache gelernt haben; solange man einen Akzent hat, ist man sowieso ein fremder Fötzel. Aber wenn eine farbige Person eine Zürischnure hat, dann ist oftmals plötzlich wieder alles in Ordnung. Dann gehört man irgendwie dazu. Die Farbe ist dann nur noch exotischer Beigeschmack.
Ich habe eine Zürischnure. Die übrigens nur ein „r“ hat hinten. Aber das nur am Rande. Da ich also sprechen kann wie die von hier, entschärfen sich die meisten Situationen, die meine Daseinsberechtigung in Frage stellen, relativ schnell. Das wiederum führt dazu, dass ich mich selten den Demütigungen ausgesetzt sehe, die meine farbigen Mitmenschen anderer Herkunft erleiden – was dann mit sich bringt, dass ich mich in Schutzräumen für farbige Menschen als Eindringling empfinde.
Mikroaggressionen
Was mir begegnet, sind meist die sogenannten „Mikroagressionen“, die „eigentlich gar nicht so schlimm sind, was regst du dich über so Kleinigkeiten auf?“ Aber das untenstehende Video zeigt hübsch auf, wie mühsame diese kleinen Vorfälle sind, wenn sie jeden Tag vorkommen. Sie sind wie Mückenstiche.
Die häufigsten Mückenstiche – und damit meine ich Mikroaggressionen – die ich erfahre, sind in etwa diese:
- „Aber woher kommst du wirklich?“
- „Bist du Brasilianerin/Kolumbianerin/Mexikanerin?“
- „Ah, du bist sicher total temperamentvoll.“
- „Sie sprechen sehr gut Deutsch!“
- „Wie stehst du eigentlich zu [aktuellstem islamistischen Terroranschlag]?“
Vor allem beim letzten Punkt möchte ich noch einmal vor Augen halten dass a) alle einigermassen geistig gesunden Menschen Terroranschläge Scheisse finden und b) ich nicht Muslimin bin. Ist klar, ich sehe halt so aus.
Aber wie sehe ich denn aus?
Nicht, als ob mein Vater schwarz wäre. Das ist sowieso der Gipfel der ganzen Geschichte. Denn ich sehe ja auch nicht schwarz genug aus, was meistens weissen Menschen dann Anlass gibt, mir meine Farbe zu whitesplainen. Ja, das sind Leute, die nicht wissen, dass der Vererbung unserer Hautfarbe eine additive multifaktorielle Polygenie zugrunde liegt, weshalb die Verteilung auf dem Spektrum so breit gestreut ist. Und dann kommt ja noch das Wetter dazu. Ich habe zwei gemischtrassige Menschen aus meinen Freundeskreis angefragt, ob ich sie als Anschauungsbeispiel nehmen könnte, wie sich die Vererbung von Hautfarbe ausdrückt. Brandy und Ricardo haben mir freundlicherweise ihr Bildnis überlassen. Brandy hat ähnliche Voraussetzungen wie ich: weisse Mutter, schwarzer Vater, wenn auch ohne arabischen Einschlag. Ricardos Mutter ist selbst gemischte Dominikanerin, sein Vater ist ein weisser Italiener. Das sieht dann so aus:

Ich bin, ehrlich gesagt, ein bisschen beleidigt, dass Ricardo dunkler ist als ich. Er hat keinen schwarzen Elternteil. Das ist meine Farbe, die du da hast, Bürschchen! Hrmpf. Auch zwischen Brandy und mir sieht sie deutlich „schwarzer“ aus, wenn man so will, unter anderem auch, weil sie „typischere“ Gesichtszüge geerbt hat als ich. Da gehören jede Menge Anführungszeichen dazu; wie ganz oben erwähnt, ist der Inhalt nicht zwingend deckungsgleich mit der Verpackung.
Identität ist wichtig. Identität ist aber nur individuell erfahr- und definierbar, wenn auch in Wechselwirkung mit der Gesellschaft. Es ist Zeit, dass wir akzeptieren, dass die Welt klein ist, und dass wir gerade in Europa vom Aussehen oder dem Namen einer Person nicht auf ihre kulturelle Programmierung schliessen können.
Hoi. Ich bin vo da. Gwöhn di dra.
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