Auf meinem Facebook-Feed hat jemand gefragt: „Wenn die Stadt, in der du lebst, ein Mensch wäre, würdest du dann mit ihm schlafen?“ Während die Leute, die mich kennen, sich die Antwort schon denken können, möchte ich ein bisschen ausführen. Vor allem, weil Andere diese, meine Stadt, schon kommentiert haben. Es war das Übliche. Die Person, die den Post verfasst hat, hat Folgendes geschrieben:
„Ich glaube, Zürich wär dieser leicht arrogante, steinreiche Typ, dessen Gesicht du dir nicht so richtig merken kannst. Im Flirten ist er schlecht, stattdessen setzt er drauf, dich zu beeindrucken – aber wenn du dich trotzig-liebevoll auf ihn einlässt, merkst du, dass er gar kein so schlechter Küsser ist. Sein Zuhause ist klinisch sauber, der Bettanzug aus Samt. Bist du leidenschaftlich, zieht er mit.
Nach dem Höhepunkt bleibt er wach, weil Koks.
Am Morgen verlangt er die 18 Franken zurück, die er für deinen Drink am Vorabend ausgegeben hat.“
Needless to say, ich sehe das ein bisschen anders.

Meine Stadt hat es weit gebracht, aber sie hat nicht vergessen, dass sie aus einfachen Verhältnissen stammt. Auswärtige und Zuzüger/innen starren auf ihr Limmatquai, zwinkern sich zu, wenn sie ihre Langstrasse entdecken, belächeln ihre Clubszene. Sie rümpfen die Nase über ihren Paradeplatz und sehen nicht, was ihre PUK jeden Tag durchlebt. Sie ignorieren was sie durchgemacht hat mit ihrem Letten und ihrem Platzspitz. Sie erinnern sich nicht, dass das Industriequartier dereinst voller Industrie war. Wegen ihrer Schönheit bezichtigen sie sie der Arroganz. Sie machen sich über ihre Hirslandenklinik und ihre gesammelten Schönheitsoperationen lustig. Doch sie macht sich nicht wichtiger, als sie ist; sie sucht keinen Vergleich mit internationalen Grössen wie New York oder Paris. Sie kennt ihren eigenen Wert und vor allem auch ihre eigenen Werte. Sie weiss aber auch, dass sie der grösste Fisch in diesem Teich ist, und sie versteht ihre Verantwortung.

Sie unterstützt Student/innen beim Studium und stellt sicher, dass ihre Junkies versorgt sind. Sie lässt niemanden auf der Strasse liegen. In ihrer Freizeit hilft sie Ausländer/innen beim Schreiben von Briefen. Sie hat von Herzen (70,4%) „ja“ gesagt zum neuen Bundesasylzentrum. Sie ist im Bankenbusiness – irgendwo muss die Kohle ja herkommen. Und während sie die Banker/innen zum Apéro lädt, stellt sie ihren Huren eine warme Stube, Tee, Duschen und Waschmaschinen hin. Ihre Arme sind offen für all die Menschen, die für ihre Heimatdörfer „zu anders“ waren; sie schmeisst jedes Jahr eine dreitägige Party für ihre LGBTQIAA-Community.
Ich will nicht nur mit ihr schlafen, ich will sie heiraten. Sie ist der Hauptgewinn. Wir streiten über ihr Seefeld und ihren Züriberg, und danach liegen wir uns in den Armen, denn ich kenne ihr Schwamendingen, ihre Grünau. Diese Dinge sieht man nicht von aussen, mit der oberflächlichen Betrachtungsweise des Fremden. Um ihr Herz und ihre Seele zu kennen, dafür muss man sich schon auf sie einlassen. Welch Ironie, dass gerade die, die dessen nicht fähig sind, ihr Oberflächlichkeit vorwerfen!
Es ist, wie mein berner Grossmueti, das 1962 nach Zürich zog, sagte: „S’isch nur für die, wo wei.“
