Das S-Wort

Letzte Woche hat sich die Premier-Ministerin Grossbritanniens heftig verkalkuliert und bei den von ihr vorgezogenen Wahlen massiv Sitze eingebüsst. So viele, dass sie jetzt keine absolute Mehrheit mehr hat, und sich mit einer superkonservativen, ultrarechten Mini-Partei aus Nordirland zusammentun muss, um weiter regieren zu können. Und weil sie sich gerade an den politisch Meistbietenden verkauft hat, gibt es jetzt Menschen, die sie als Schlampe oder auch als Hure bezeichnen. Dies ist scheinbar in Grossbritannien passiert und hat einen meiner Lieblingsmenschen, J.K. Rowling, zu einem veritablen Tweetsturm veranlasst.

Was besonders schwer wiegt ist die Tatsache, dass J.K. diesen Mann ursprünglich gut fand. Er sei witzig und klug, und ich darf annehmen, ansonsten auch eloquent. Und ich verstehe den Schmerz nur allzu gut: Wenn nicht mal die guten Männer begreifen, warum man eine Frau, die einem nicht passt, nicht einfach als Hure/Schlampe/Flittchen etc. betiteln kann, welche Hoffnung gibt es denn bei den Männern, die uns sowieso nicht als Menschen sehen? Wenn schon die Männer, die sich – guten Gewissens! – als Feministen bezeichnen, ihre eigene Misogynie nicht erkennen, welche Chance haben wir dann auf lange Sicht gegen die alles durchdringende Rape Culture? Ich verstehe ihren Schmerz nur zu gut, denn am Samstag ist mir dasselbe passiert.

Nach dem Aufstehen habe ich auf meinem Handy gesehen, dass eine Freundin mich in einem Facebook-Post getaggt hat. Es war der Post eines Journalisten, dem ich folge, da ich seine Ansichten öfter als nicht teile, seinen Stil treffsicher finde, und ihn als einen der Männer wahrgenommen habe, die «auf unserer Seite» sind, um es mal so auszudrücken. Nur hat er jetzt in einem Post Theresa May als «Schlampe» bezeichnet, und diesen neuerlichen Post, in dem ich getaggt war, dazu benutzt, zu rechtfertigen, warum das okay ist. Eben weil er einer der «Guten» ist.

Slut

Das Wort an sich

Eine Argumentation des Journalisten ist, er benutze «… das Wort Schlampe schon eine Weile. Und mein Gegenüber hat immer gewusst, wie ich es anwende.» Nur ist seine persönliche Anwendung natürlich irrelevant.

Der Duden hat zum Wort «Schlampe» folgende Definition:


Schlam­pe, die

Wortart: Substantiv, feminin

Gebrauch: umgangssprachlich abwertend

  1. unordentliche, in ihrem Äußeren nachlässige und ungepflegte weibliche Person; schlampige Frau
  2. Frau, deren Lebensführung als unmoralisch angesehen wird.


Soviel zur objektiven, gebräuchlichen, bekannten Bedeutung des Wortes; das ist die, die verstanden wird. Das ist die Bedeutung, die ankommt, wenn das Wort gehört oder gelesen wird. Wenn der individuelle Sprecher oder Schreiber diesem Wort selbst eine andere Bedeutung zumisst, dann muss er diese selbstverständlich erläutern, denn sonst gilt der allgemein angewandte Sinngehalt. Da in diesem Kontext keine weitere Erklärung zu finden war, dürfen wir guten Gewissens annehmen, dass der bekannte Wortinhalt zum Tragen kommt. Und angesichts dessen, dass Frau May in der Öffentlichkeit immer ein gepflegtes Äusseres zeigt, muss angenommen werden, dass es sich um die zweite im Duden hinterlegte Bedeutung handelt.

Etymologisch gesehen war das Wort «Schlampe» eine Bezeichnung für ein schlaff herunterhängendes, lotterndes Kleidungsstück für Frauen. Seine herabwertende Anwendung auf Frauen selbst findet es seit dem 17. Jahrhundert, allerdings dort noch ohne sexuelle Konnotation. Diese erhält es erst im 19. Jahrhundert. Laut Pierers Universal Lexikon, ca. 1850, handelt es sich bei der Schlampe um «eine in Kleidung u. Betragen liederliche Weibsperson».

Fazit: Dieses Wort bezeichnet seit fast zweihundert Jahren Frauen, die in den Augen der Gesellschaft einen moralisch fragwürdigen Lebenswandel führen. Jeder Versuch, im eigenen Gebrauch so zu tun, als sei etwas anderes gemeint, ist gerade seitens eines Journalisten erschütternd verlogen.

Mehr als nur ein Wort

Warum aber so viel «Gschiss» um ein Wort? Sticks und Stones und so, oder? Falsch. Worte haben Macht, und wem das nicht klar ist, der hat das ganze 20. Jahrhundert verpasst. Propaganda ist deshalb so gefährlich, weil sie funktioniert.

Einer der ersten Schritte der Kriegsführung ist die Entmenschlichung des Feindes. Das Lexikon der Psychologie, 17. Auflage, führt folgende Beispiele an:


Wissenschaftliche Erklärung

Entmenschlichung wird wissenschaftlich insbesondere durch Theorien der Psychologie und der Soziologie erklärt. Hierzu zählen beispielsweise zahlreiche Machttheorien, wie etwa die Theorie von Etablierten-Außenseiter-Beziehungen (Norbert Elias).

Beispiele

  • Gleichsetzung mit Schädlingen und Ungeziefer: Dies erfolgte beispielsweise bei Juden beim Holocaust, bosnischen Muslimen in den Jugoslawienkriegen, Tutsis in Ruanda oder Immigranten.
  • Gleichsetzung mit Tier- und Kindereigenschaften: Dies erfolgt beispielsweise häufig bei Weiblichkeit (das Weib) oder Behinderungen. Es führt hier zu feindlichem oder benevolenten Sexismus oder bevormundender Diskriminierung und dient u.a. dazu, Opfer von Vergewaltigungen nicht beachten zu müssen oder gar Vergewaltigungen zu legitimieren. Grundlage sind u.a. Geschlechtsrollen-Stereotype.

Es darf davon ausgegangen werden, dass Männer (und Frauen) Frauen, die ihnen missfallen, immer schon gerne als Schlampen, Huren, etc. betitelt haben. Durch das Internet wird diese Prädisposition einfach überdeutlich. Spätestens seit Gamergate wissen wir, was mit Frauen passiert, die es wagen, im Netz eine eigene Meinung zu haben: sie werden gehackt, ihre Adressen und andere persönlichen Informationen werden veröffentlicht, sie erhalten Vergewaltigungs- und Morddrohungen. Sie werden entmenschlicht. Schlampen verdienen schlechte Behandlung. Wenn sie keine Schlampen wären, wären sie nicht vergewaltigt worden. Sie hätten nur ihre Fresse halten und ihren Platz in der Hackordnung respektieren müssen. Die Schlampen haben sich das selbst eingebrockt.

Masseneinwanderungsplakat der SVP
Zur Info: es gibt keine „Masseneinwanderung“.

Dass ich überhaupt auf die (schädliche) Wirkung von Worten hinweisen muss, und gerade bei einem Journalisten nicht auf Gehör stosse, ist erschreckend. Schliesslich ist unser Wortschatz im Laufe der letzten Jahre und Jahrzehnte um einiges angepasst worden. Während gerade die Hinterletzten noch merken, dass «Schwuchtel» nicht okay ist, würde es den meisten Menschen unseres Landes nicht mehr einfallen, in aller Öffentlichkeit «Neger» zu sagen.

George Orwell hat ein Buch geschrieben, das die Macht der Sprache in aller Deutlichkeit darstellt. Eine Abhandlung über «1984» sprengt den Rahmen dieses Blog-Posts, aber der Wikipedia-Artikel zu Neusprech ist äusserst lesenswert.

Wie weiter?

Aber eben, was tun, wenn es «die Guten» nicht begreifen? Ich weiss es, ehrlich gesagt, nicht. Es ist einfach, unter diesen Voraussetzungen die Hoffnung zu verlieren. Was sich aber beim Post jenes Journalisten auch herauskristallisiert hat, sind die Lichtblicke am Horizont. Nebst den Kommentaren vieler Frauen, die versucht haben, ihn auf seinen Fehler hinzuweisen, finden sich auch ein paar Aussagen von Männern, die verstehen, worum es geht. Uns wird nichts anderes übrigbleiben, als den Kampf weiter zu führen, der das Leben der letzten sechs Generationen geprägt hat. Feminismus: die radikale Idee, dass Frauen Menschen sind.

 

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