Wie, genau, habe ich es geschafft, in dem einzigen katholischen Kanton zu arbeiten, der weniger Feiertage hat als Zürich?
Ich bin ja normalerweise eher amüsiert, dass ich in einem fremden Kanton arbeite. Aber heute morgen habe ich es gehasst. Das hat natürlich hauptsächlich mit meiner momentanen Lebensgestaltung zu tun. Seit ich nebst dem 80% Arbeitspensum noch zur Schule gehe, bin ich konstant übermüdet und am Anschlag. Wenn mir dann noch ein Feiertag, den ich seit gut 25 Jahren regelmässig begehe, verwehrt bleibt, dann bereitet mir das geradezu physische Schmerzen. Ich habe furchtbar schlecht geschlafen, insgesamt bin ich vielleicht auf drei Stunden gekommen. Ich bin randvoll von Verzweiflung. Seit ich aufgestanden bin, weine ich im Inneren bittere Tränen. Ich nehme es übel. So richtig, abgrundtief, todschwarz übel. Es ist, als fühlte ich die ganze Gewalt des kapitalistischen Systems am eigenen Körper.
Meine Arbeitskollegen und -Kolleginnen sind wunderbare Menschen. Nichts anderes könnte mich dazu bewegen, jeden Morgen ins Ausland zu fahren. Und an Tagen wie diesem ist es alles, was mich überhaupt aufstehen lässt.
Denn ich finde sonst nichts Gutes an diesem Kanton.
Das schleckt keine Geiss weg. Ausgerechnet Sankt Gallen. The worst. Vielleicht wären Thurgau oder Appenzell Innerrhoden schlimmer, aber die interessieren niemanden. Nein, Sankt Gallen. Dieser Kanton tut ja gerne mal, als wäre er einer der Grossen. Als wäre er relevant. Als hätte er eine Stadt, die diese Bezeichnung verdient (fyi: nope). Als gehörte er zu uns. Wir, das sind die Kantone Zürich, Bern, Basel-Stadt, Vaud und Genève. Bei der letzten Abstimmung hätte Sankt Gallen beweisen können, dass es doch zu den progressiven Kantonen gehört, denen mit Städten, die die Zeichen der Zeit erkennen. Aber nein, man hat dann doch lieber nein gestimmt, wie so ein kleiner Nazi.

„Do het’s di“, würde mein Toggenburger Arbeitskollege sagen. You had one job. Aber auch bei der unumstrittensten aller Einbürgerungsvorlagen konnte sich fucking Sankt Gallen nicht zu einem „Ja“ durchringen. Und wie wir alle wissen, die Guten, die, die’s vielleicht hätten rumreissen können, die fliehen in den Chreis 4. Ich verkneife mir Bemerkungen über Nagetiere und Schiffe.
Dass es ausgerechnet der 1. Mai ist, der mir nicht zugestanden wird, ist was besonders schwer wiegt. Es erinnert mich daran, dass ich in dem Kanton arbeite, der dem Dämonen Mammon einen Tempel errichtet hat. Hier hat er seine Hochburg, der Freisinn, der Arme, Alte und Kranke der freien Marktwirtschaft zum Frass vorwirft. Hier steht sie, die HSG, Sinnbild von allem, was an Kapitalismus inherent menschenverachtend ist.
Die HSG. Wenn man die Liste berühmter Alumni anschaut, läuft es schon einem latent menschlichen Menschen kalt den Rücken runter, während eine Sozialistin wie ich im Kern gefriert. Es ist der Abgrund, und nicht nur starrt er zurück, er versucht, uns alle zu verschlingen. Zumindest die, die nicht seinem sozial-darwinistischen Gesellschaftsmodell entsprechen. Ich habe da neulich einen Witz gelesen über die Anmach-Sprüche der Studenten verschiedener Universitäten, und während der von der ETHZ voraussehbar platt war („Du machsch mini Software zur Hardware.“), war der von der HSG traurig, aber wahr: „Wa choschtisch?“ Klar, es war ein Witz. Aber Witze sind nur dann lustig, wenn sie wiedererkennbare Wahrheit transportieren. Der Scherz fasst die Mentalität der HSG handlich zusammen; wir sind nicht Menschen, wir sind Human Ressources.
Nein, nicht alle Sanktgaller sind so. Wie eingangs erwähnt arbeite ich an einem tollen Ort mit ganz tollen Leuten. Sie kompensieren mich für die Gewalt, die ich meinem Körper jeden Morgen antue, wenn ich um 05:15h aufstehe, um die Fahrt ins Herz des Bösen anzutreten. Wobei Rapperswil bestenfalls ein Satellit des Bösen ist, so weit, wie es kulturell von Sankt Gallen losgelöst ist. Wie immer ist das Problem nicht das eines Individuums, sondern des Mobs. Und der Mob ist nun mal nur so gut wie seine schlechtesten Komponenten.
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