Anne-Sophie hat zu aktuellem Anlass getweetet, dass sie mehr Revolutions statt Resolutions sehen will. Ich fühle mich berufen, beides zu kombinieren:
Ich habe beschlossen, den Bauch nicht mehr einzuziehen.
Wer jetzt spontan nicht versteht, warum das ein geradezu revolutionärer Ansatz ist, dem/der darf man gratulieren: sie oder er ist also normal- oder untergewichtig. Als fette Person wird einem früh nahegelegt, man solle zumindest den Bauch einziehen, so in der Welt draussen. Ist ja wohl das Mindeste, was man tun kann, dort, wo andere Menschen die eigene fettleibige Anwesenheit ertragen müssen. Natürlich nützt es nichts; ich sehe nicht schlanker aus, wenn ich die Luft anhalte, ich sehe dann einfach aus wie eine fette Frau, die sehr flach atmet. Deshalb kann ich es sein lassen. Das ist zumindest der Plan.
In der Realität hat sich die Umsetzung dieses Vorsatzes dann doch etwas schwieriger gestaltet, als ich erwartet hatte. Schliesslich wurde ich als Teenager über meine inakzeptable Körperform informiert, und wie ich mich in der Folge dafür zu kasteien hätte. Ich habe dann zum Beispiel verlernt, zu gähnen. Also, richtig zu gähnen. Der Körper nutzt bekanntlich diesen Mechanismus, um sich mehr Sauerstoff zu verschaffen. Normalerweise. Aber nicht mit mir, Körper! Ich habe mir angewöhnt, nach einem kurzen Einatmen sofort wieder auszuatmen. Volle Lungen blasen ja den Körper auf, und das wollen wir explizit nicht. Weil wir sowieso zu viel Raum einnehmen, hier draussen, wo uns Andere sehen können. Ich habe mich darauf getrimmt, nicht voll einzuatmen. Meine Gesangslehrerin ist darüber verzweifelt, schliesslich braucht man Luft zum Singen. Ich arbeite daran.
Ich ertappe mich immer wieder, wie ich automatisch den Bauch einziehe. Es ist zu einem Teil meiner selbst geworden, einer dieser kleinen, unmerklichen, täglichen Oppressionen, denen ich mich seit gut 25 Jahren unterwerfe. Ich weiss nicht mehr, wo ich diese Erkenntnis gelesen habe, aber sie lautete in etwa so: Als es offensichtlich wurde, dass man Frauen nicht auf ewig zu Hause einsperren konnte, hat man sie in ihren eigenen Körper geschlossen. Jeden Tag bekommen wir die Mitteilung tausendfach, dass wir nicht schlank/schön/fit/jung/weiss genug sind, um nur ein paar unserer Makel aufzulisten. Auch schlanke Frauen können dieses Spiel nicht gewinnen: Wer zu schön ist, ist automatisch oberflächlich und dumm.
Indes ist nichts schlimmer auf der Welt, als fett zu sein. Insbesondere als Frau, deren einzige Aufgabe im Leben ja, grob gesagt, darin besteht, Wichsvorlage zu sein. Denn einzig das definiert unseren Wert: ob Männer uns ficken wollen. Notabene Männer, mit denen frau selbst gegebenenfalls nicht mal sprechen, geschweige denn schlafen würde. Hollywood illustriert es gut: Männer wie Seth Rogen (den ich gerne mag; er ist aber trotzdem nicht wirklich hübsch und eher pummelig) können Hauptrollen in romantischen Komödien übernehmen, und werden zu diesem Zweck mit 08/15 Vorzeigefrauen wie Katherine Heigl gepaart. Fette Frauen sind hingegen entweder Comic Relief (hallo, Melissa McCarthy), Ausgeburten des Bösen (Ursula in „Arielle“), oder der ganze Film muss dazu verwendet werden, zu erklären, warum diese spezifische fette Frau doch liebenswert ist. Letzteres mit Hilfe einer untergewichtigen Blondine wie Gwyneth Paltrow, die in einem Fatsuit steckt („Shallow Hal“). Denn eine Schauspielerin, die in echt fett ist, hätte man ja nicht als attraktiv darstellen können.
Ich werde den Bauch nicht mehr einziehen. Eigentlich bin ich ideal auf diese Herausforderung vorbereitet. Ich habe nämlich schon vor Jahren eine der besten und wichtigsten Superkräfte des menschlichen Daseins entwickelt: mir gehen anderer Leute Meinungen grösstenteils am Arsch ab. In aller Ehrlichkeit kann ich mir selbst nicht erklären, warum das hier so lange gedauert hat. Aber so ein neues Jahr ist eine herrliche Gelegenheit für eine kleine Revolution. Mit anderen Worten: Brust raus – Bauch raus – Arsch raus.
Guets Nöis!