Was Corona zutage fördert

Das Jahr ist gerade mal eine Woche alt und ich verliere schon wieder die Geduld mit euch allen. Nicht nur muss ich mich nun schon seit Monaten mit einem Virus herumschlagen, nein, meine Mitmenschen tun auch alles erdenklich Mögliche, damit das auch noch lange so bleibt. Was ist eigentlich bei euch falsch gelaufen? Ich meine, ich weiss seit geraumer Zeit, dass Gemeinschaftsgefühl und Solidarität schon lange aus der Mode sind: Kaugummi am Boden, Bierdose auf dem Tramsitz, Steuerhinterziehung. Aber so ein bisschen Vernunft? Nur ein bisschen? So bitzeli Anstand, Zurückhaltung, Verständnis? Damit wir das schnell durchkriegen? Für uns alle? GINGE DAS??

Covidioten und Impfgegener/innen

Noch nie habe ich so viele Leute aus meinen sozialen Medien gekickt wie dieses Jahr. Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass ich offenbar eine kleine Gruppe Covidioten persönlich kenne. Da war alles dabei. IC, zum Beispiel, der schon immer etwas wissenschaftsfremd und seltsam war, dazu auch noch seine Kinder nicht hatte impfen lassen. Da habt ihr recht, das hätte ich mir auch denken können. Aber dass er mir direkt eine Petition vorschlägt, die den Ausbau des 5G-Netzes verhindern will, weil die Strahlung die Mutation des Virus begünstigt? Wir sassen in der gleichen Biologieklasse in der Schule. Ich gehe davon aus, dass einige von uns aus der Schulzeit etwas mehr mitnehmen als andere. Sein charmantes Argument, das alte Menschen nun mal sterben – Lauf der Natur, etc. – war das Sahnehäubchen auf seinem verbalen Dreckshaufen.
Dann MT, die vor ein paar Jahren aufs Land raus gezogen ist. Sie war nie die Hellste, aber scheinbar wurde sie in den letzten Jahren radikalisiert. Ausländer/innen sind eh an allem schuld, wie auch die Linken, die dem Flüchtlingspack alles in den Arsch schieben [sic]. Entsprechend war das Virus dann auch nur eine Verschwörung der Regierung, um aufrechte Bürger/innen mundtot zu machen. Was sie zu BLM zu sagen hatte, erspare ich uns an dieser Stelle.

Oh, wir haben noch gar nicht über die Unterdrückten gesprochen! Ihr wisst schon, diese armen Menschen, die in einem totalitären System leben müssen, das ihre Meinungsfreiheit mit Füssen tritt und ihre gottgegebene Freiheit einschränkt! Nein, nicht Regierungskriterk/innen in der Türkei. Ich meine diese hehren Eidgenoss/innen, die gänzlich unbehelligt von der Polizei demonstrieren gehen. Gegen ihre Unterdrückung. MT ist eine von denen.

Bild: © KEYSTONE/EPA/ENNIO LEANZA

Ja, ich halte all diese Leute für dumm. Bildungsfremd. Anti-intellektuell. Ich weiss schon, ich sollte sie nicht alle pauschal verurteilen, mit solchen Beleidigungen spaltet man die Gesellschaft nur unnötig, bla bla bla. Meinetwegen. Ich habe diese Leute bereits abgestossen, ich bin keine Botschafterin des guten Willens. Ihr wollt diese Leute wieder ins Boot bekommen? Meinen Segen habt ihr. Möge die Macht mit euch sein. Viel Spass beim Argumentieren mit Menschen, die vollständig immun (haha, IMMUN!!) sind gegen Fakten. Nein, ich weiss nicht, wie man das wieder hinkriegt. Das liegt über meiner Gehaltsklasse. Und wo wir gerade von Arbeit sprechen:

Die Ewiggestrigen

Von wie vielen meiner Freund/innen muss ich mir eigentlich anhören, dass der Ort, an dem sie arbeiten, technologisch/logistisch/ideologisch nicht fähig ist, sie im Home Office arbeiten zu lassen? Es gehe nicht, wegen der Daten, die sie verarbeiten: Bullshit. Es gehe nicht, den Mitarbeitenden die notwendigen Geräte zur Verfügung zu stellen: Bullshit. Sitzungen über Zoom/Teams/Skype seien so unpersönlich: jenseitiger Bullshit. Natürlich gehöre ich zu den technophilen Menschen, aber auch ich bin lieber mit meinen Freund/innen zusammen in einem Café. Aber im Büro? Muss das sein? Machen wir uns nichts vor, die Ewiggestrigen sind womöglich gar nicht gegen Technologie, aber sie wollen a) das Geld nicht in die Hand nehmen und b) ihre Untergebenen physisch überwachen können, weil sie ihnen nicht zutrauen, freiwillig zu arbeiten. Okay, Letzteres ist nachvollziehbar, wenn der Job scheisse ist. Dann liegt die Problematik aber woanders.

All die Massnahmen, uns zum Zuhause Bleiben zu bewegen, nützen nichts, aber auch gar nichts, solange ein guter Teil von uns jeden Morgen und Abend zur gleichen Zeit am gleichen Ort ist, nämlich in den ÖV. Schon mal darüber nachgedacht, dass der Ort, wo wir uns easy gut anstecken können, das ÖV oder der Pausenraum im Büro ist, und gar nicht der Club?

„KoMmT dAs ViRuS jEtZt ScHoN uM 23h/22h/19h rAuS?“

Nein, das Problem sind nicht die Clubs, das Problem sind die Leute. Einmal mehr. Weil man scheinbar vom gemeinen Volk nicht den Funken Vernunft erwarten kann. Die Clubs haben sich vorbildlich verhalten, Tracking, Tracing, was die Verordnung begehrt, wurde geliefert. Aber die Langstrasse, da draussen vor den Clubs, die war halt jenseits von Gut und Böse. Ich kam kurz nach Wiedereröffnung der Clubs im Sommer dort (eine Fehlkalkulation meinerseits, weil mir vergessen ging, dass der Weg von Altstetten an die Sihlpost über die Langstrasse führt) vorbei, und die Strasse sah aus wie die Üetlibergstrasse am Knabenschiessen. All die Leute, die nicht in die stark limitierten Clubs reinkamen, machten dann einfach auf der Strasse Party, mit Alkohol, den sie vom Kiosk an der Ecke hatten. GANZ GROSSES KINO.

Es geht bei der Limitation der Öffnungszeiten nicht darum, dass die Clubs oder Restaurants Vektoren sind. Es geht darum, das Angebot einzuschränken, damit die Leute verdammt noch mal zuhause bleiben. Bleiben Sie zuhause. Wie oft müssen wir das noch sagen? Zuhause bleiben. Füsse still halten. Kontakte vermeiden. Himmelherrgotstärne, das kann doch nicht so schwer sein! Eine Impfung ist absehbar, und bis dahin müssen wir uns jetzt zusammenreissen. Bis dahin bleiben jetzt die Freizeitangebote weg. Das ist bedauerlich und hat mir auch persönlich weh getan: in der letzten Oktoberwoche, zum Beispiel, musste ich auf verschiedene, mir persönlich wichtige Veranstaltungen verzichten. Ich will das nicht schön reden, mir ging es nicht gut in dem Moment. Ich habe auch noch ein Schwimm-Abo* der Stadt, das ich nicht nutzen kann. Aber manchmal muss man Opfer bringen.

*Gültige Abos werden automatisch verlängert. Info hier.

Alain Berset und Simonetta Sommaruga

Opfer, die zwar seelisch sein mögen, aber nicht finanziell sein dürfen. Denn wenn Betriebe schliessen müssen, muss jemand dafür sorgen, dass diese daran nicht eingehen. Wer das bezahlen soll, fragst du? Die Regierungen der Kantone und des Bundes, natürlich, denn dafür zahlen wir Steuern. Ziemlich offensichtlich, eigentlich. So einfach ist es aber indes in einer neoliberalen Welt nicht. Denn selbstverständlich müssen wir an die Wirtschaft denken, unsere heilige Kuh. Und mit Wirtschaft meinen wir natürlich nicht die KMU, die unter der momentanen Situation zu zerbrechen drohen, sondern die Interessengruppen, die unsere Regierungen gekauft haben.

Wir haben gerade die Abstimmung über die Konzerverantwortungsinitiative hinter uns, und dort wurde von kapitalistischer Seite der Untergang der KMU heraufbeschworen, sollte diese durchkommen. Denkt denn niemand an die armen KMU? Wer die gebetsmühlenartigen Ausführungen der Bürgerlichen zu dem Thema gehört hat, hat sich vielleicht in einer trügerischen Sicherheit gewiegt; die Bürgerlichen, ja, die stehen zu den kleinen Schweizer Unternehmen – zumindest bis es ans Eingemachte geht.
Als nämlich die Bürgerlichen die Option hatten, gerade diesen Leuten zu helfen, haben sie sich „spontan“ dagegen entschieden. Eine der grössten finanziellen Belastungen für KMU ist nämlich die Miete ihrer Geschäftslokale. Diese Räume können nicht genutzt werden, generieren keine Einkünfte, sollen aber trotzdem vollständig und pünktlich bezahlt werden. Als dem Parlament also eine Vorlage zur Minderung der Mieten vorlag, hat dieses bürgerlich dominierte Parlament diese abgelehnt. Das eine Ding, das den KMU erheblich entgegengekommen wäre, wurde verworfen. Warum? Weil unsere bürgerlichen Parlamentarier/innen häufiger VERmieter als Mieter sind. Die Liebe zu den KMU geht also nur so weit, wie die eigenen Interessen nicht tangiert werden.

Und diese ewigen Vorwürfe gegen Berset und Sommaruga, was soll das? Seit Jahr und Tag ist der Bundesrat eine Entität, die mit einer Stimme spricht*: die Beschlüsse im Kollegium müssen von allen Mitgliedern nach aussen getragen werden. Berset und Sommaruga sind die zwei, die schlicht und ergreifend den Kürzeren gezogen haben: Berset, weil er dem EDI vorsteht, und Sommaruga, weil sie zufällig 2020 Präsidentin war. Diese beiden sind auch die einzigen Vertreter/innen der SP im Bundesrat, was bedeutet, dass sie jederzeit locker von den Bürgerlichen überstimmt werden können. Dass wir keinen zweiten Lockdown bekommen haben, was die einzig logische Vorgehensweise gewesen wäre, liegt daran, dass die Bürgerlichen diesen nicht bezahlen wollen. Also kommt mir nicht mit „wir wissen, wen wir nicht mehr wählen“, denn erstens wählen wir die Bundesrät/innen nicht direkt und zweitens sind die linken Parteien die einzigen, die sich auch nur ansatzweise für das Volk einsetzen. Die Schuldigen sind die SVP und die FDP. Ihr wollt, dass sowas in Zukunft nicht mehr passiert? Tja, dann hättet ihr wohl der linken Utopie des bedingungslosen Grundeinkommens zustimmen müssen. Das hätte uns vieles erspart.

*Der Einzige, der dagegen immer wieder verstiess, war Blocher. Und der wurde dann – als einer von nur vier Bundesrät/innen in 171 Jahren – abgewählt.

Ob wir das jetzt gemeinsam aussitzen können, frage ich?

Schaut, ich würde echt gerne meine Freund/innen mal wieder sehen. Mal wieder in Person an einem Tisch sitzen, Magic oder D&D spielen, einen Pseudo-Chai mit Vanilletee trinken, kleine Dinge geniessen wie Blickkontakt, eine Umarmung, etc. Die Technologie hilft, aber sie kann menschlichen Kontakt nicht auf Dauer (ich sagte, „auf Dauer! Gopfriedstutz, Heiri, jetzt lern endlich, mit dem Computer umzugehen!) nicht ersetzen. Also wäre ich froh, ihr würdet die Maske tragen, die Hände waschen und vermeidbaren Kontakt vermeiden. Bald können wir geimpft werden, und dann werden wir uns auch wieder live und in Farbe sehen. Ach ja, und wählt beim nächsten Mal Links. Wo uns bürgerliche Regierungen hinführen, sehen wir ja hier.

Ein Kommentar zu „Was Corona zutage fördert

Gib deinen ab

  1. Ich habe mir gerade vorgestellt wie schön es wäre Ihnen Zuzuhören. Sie sprechen mir aus der Seele. Ich habe alles getan, weil ich keine Fiesta mehr hatte. Seit zwei Jahren existiere ich in einem vegetativen Zustand kurz vor einem Nervenzusammenbruch, alte Traumata klopfen an der Oberfläche, Sinn und Existenzkrise. Zwar gehöre ich keiner Risikogruppe, aber ich halte mich an die Verbote. Für mich ist es eine Frage des Anstands keine Veranstaltung zu machen. Aber es geht massiv ins Geld und macht mich fast völlig mittellos bloß von der Gunst von Freunde abhängig, denn Angst und Zufriedenheit ist beides nicht rentabel wenn man den Konsumwahnsinn so weit verweigert, dass man kaum noch das Bett verlässt. Dankr für diesen kleinen Wutausbruch. Ich teile so viel. Der Staat und die Menschen müssen lernen das heutzutage ein Handy scannen, mailen, kann. Drucker und Fax sind passé. Wer ein Handy besitzt kann mit der Welt handeln ohne das Bett zu verlassen. Ich hasse Spritzen und habe mich impfen lassen müssen. Aber Niedersachsen bereitet schon die Vierte Spritze und ich frage mich langsam warum ich mir nicht gleich Hormone spritzen lasse. Es fühlt sich wie Genmodifikation an. Naja… es ist normal Angst vor dem Unbekannten zu haben. Da muss jeder durch. Danke vielmals für deine Gedanken!

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