Aber woher kommst du wirklich? 

Ich wurde in der Maternité des Stadtspitals Triemli geboren und bin in einem Haus aufgewachsen, dass sich 450m (Luftlinie) davon entfernt befindet. Mein Kindergarten war vom Küchenfenster aus sichtbar, ebenso meine Sekundarschule (also, vom Balkon aus). Mein Primarschulhaus stand – 370m von meinen Wohnhaus entfernt – direkt hinter der Kirche, in der ich getauft worden war. Mit 14 Jahren bin ich ins Gymnasium gekommen, und musste erstmals mit den ÖV zur Schule, in den angrenzenden Kreis 2. Erst mit 28 bin ich von Wiedikon ans andere Ende der Stadt gezogen, nach Oerlikon. Wenn ich also gefragt werde, woher ich „wirklich“ komme, dann denke ich

Wiedike, Motherfucker, do you know it?
„Say ‚where‘ one more fucking time.“

Aber ich sage: „Us Wiedike. Werum?“

Hand auf’s Herz: wir wissen, warum. Als ihr den Titel des Posts gelesen habt, haben die einen von euch leise geseufzt, den anderen ist hoffentlich die Schamesröte ins Gesicht geschossen. Es gibt, grob gesagt, zwei Volksgruppen, die unregelmässig aber ständig zu ihrer „wahren“ Herkunft befragt werden:

  • die mit den ausländisch anmutenden Namen
  • die mit den in der Schweiz nicht gängigen Hautfarben

Yay me! Ich hab beides. Natürlich werde ich nicht von jedem direkt ins Kreuzverhör genommen. Die meisten Leute haben gelernt, ihre Neugier in Small Talk zu verpacken, weil man es dann weniger merkt. Da kommen dann schon so Perlen zum Vorschein wie: „Sie sprechen aber gut Deutsch!“ Korrekt. Besser als die meisten Schweizer/innen. Das mit dem schlechten Deutsch in der Schweiz ist aber auch eine Volkskrankheit. Es ist schon fast wieder suspekt, wie akzentfrei ich Deutsch spreche.

Es scheint, dass auch im 21. Jahrhundert das Memo noch nicht bei allen angekommen ist, dass die Schweiz ein Immigrationsland ist, und zwar nicht erst seit gestern. Einige von uns – laut Bundesamt für Statistik 36,8% der Bevölkerung – haben einen sogenannten Migrationshintergrund. Fun Fact: ich habe ihn, meine Schwester, die genau die gleichen Eltern hat wie ich, nicht. Wegen einer Gesetzesänderung wurde mir, als Kind eines Ausländers und einer Schweizerin, das Bürgerrecht 1978 anerkannt, nachdem ich als Ausländerin geboren worden war. Meine Schwester kam nach der Anpassung zur Welt, weshalb sie „Bürgerin durch Abstammung“ ist. Über die beiläufige Misogynie der schweizerischen Gesetzgebung möchte ich aber zu einem anderen Zeitpunkt sprechen.

Ich bin rein technisch gesehen Schweizerin. Damit will ich sagen, ich bin Schweizerin. Und wie. Ich habe null Toleranz für ungenaue Zeitangaben, ich recycle alles, was nicht schnell genug davonrennt, ich gehe mit praktisch religiösem Eifer an die Urne. Ich habe  sogar ein kleines Gschichtli, um zu illustrieren, wie hoch mein Bünzli-Level ist:

Dereinst stand ich in dieser winzigen Migros, die neben dem Tram-Museum im ehemaligen Depot Burgwies untergebracht ist. Hinter mir stand ein schwarzer Rekrut in Uniform, vor mir packte eine Dame ihren Einkauf auf’s Laufband. Und dieser Einkauf war beträchtlich. Er vereinnahmte die gesamte Länge des Bands, und weil durch ihre (ineffiziente) Verteilung nicht alle Waren auf dem effektiven Band Platz fanden, stapelte sie ein paar davon auf die hintere Ablage. Ich sollte nicht explizit erwähnen müssen, dass sich diese hintere Ablage nicht bewegt. Als sich jedoch der Rest ihres Einkaufs Richtung Kassiererin in Bewegung setzte, blieb das Brot zurück. Als typische Schweizerin schaute ich zunächst streng. Dann räusperte ich mich. Als sie auch diesen Wink mit dem Zaunpfahl nicht begriff, schritt ich zur ultima ratio und sprach sie direkt an – mit dem obligatorischen passiv-aggressiven Unterton: „Gehört das auch noch dazu?“ Ich sage euch, mein Blick hätte töten können. Aber mein Gegenüber war wohl nicht Schweizerin, denn sie war nicht halb so verlegen/erschüttert/empört, wie sie hätte sein müssen. Sie nahm das Brot nach vorne, und drehte sich wieder um. Doch dann, die Kür: sie hatte vergessen, denn Broccoli zu wiegen.

Sie hatte vergessen, den Broccoli zu wiegen.

Ich habe natürlich, wie das in unserer Kultur so üblich ist, die Augen gerollt, und dabei das Geräusch gemacht, dass ich von meiner Berner Grossmutter gelernt habe: hrmpf. „Hrmpf“ war beim Grossmueti der Moment, an dem jegliche weitere Diskussion hinfällig wurde. Von „hrmpf“ an war es vorbei. Das „hrmpf“: eine allgemeingültige passiv-aggressive Formulierung. Während ich mich so echauffierte, fiel mein Blick auf meinen jungen, grüngewandeten, schwarzen Hintermann, der die Hände verwarf und energisch den Kopf schüttelte. Wir schauten uns an, hrmpften ein bisschen zusammen, und warteten dann, bis die unselige Person endlich ihr Postizeugs entfernt hatte. Wir, das war uns beiden nonverbal klar, sind nicht nur Schweizer/innen, wir sind Bünzlis.

Die Umgebung macht den Menschen, oder wie ein Freund von mir neulich sagte, als er einmal mehr zu seiner „wahren Herkunft“ befragt wurde: „Also, technisch gesehen komme ich aus einer Vagina. Ist es wichtig, wo sich die Vagina zu dem fraglichen Zeitpunkt geographisch befand?“ Die Antwort ist natürlich „ja“, insofern als dass die Kultur, in der wir aufwachsen, uns prägt. Wer in der Schweiz aufwächst, wird Schweizer/in – ob er/sie es will oder nicht. Die Frage selbst war aber eben eine Frage nach der Herkunft dieser spezifischen Vagina. Diese, wiederum, ist irrelevant.

Man wird ja wohl noch fragen dürfen!

Nein. Ich meine, wozu? Vielleicht ergibt es sich in einem persönlichen Gespräch, die Herkunft unserer respektiven Familien zu beleuchten. Der Werdegang ist nämlich auf der Schweizer Seite auch nicht ohne, schliesslich ist meine Mutter als Jugendliche aus Bern via Trimbach (SO) hierher gekommen, und das auch nur, weil s Tante Vreneli damals schon mit einem Stadpolizisten verheiratet war. Der selbst übrigens aus der Ostschweiz stammte. Nicht nur ist die Schweiz ein Einwanderungsland, Zürich ist auch eine Einwanderungsstadt. Die meisten hier sind nicht von hier. Damit meine ich vor allem euch, ihr Ostschweizer/innen.

Mal im Ernst, kennen wir uns? Wenn nicht, dann ist diese Frage insolent und sehr viel persönlicher, als unsere Beziehung zu diesem Zeitpunkt zulässt. Dazu kommt in meinem persönlichen Fall, dass Herkunft in Afrika schwierig ist. Einerseits, weil dort im Gegensatz zu hier kein Usus besteht, Dokumente über alles und jeden anzufertigen, andererseits, weil Sklaverei die ganze Geschichte extrem kompliziert. Die Herkunft der Sklav/innen wurde absichtlich ausgelöscht, denn wer weiss, wo „zuhause“ ist, der will womöglich dahin zurück.

Barista_ Wie heisst du_Ich_ SabrinaEr_ Sabrina... aus Brasilien_Ich_ Nein. Er_ Woher kommst du_Ich_ _Augenrollen_Ich_ Aus Wiedikon. Das ist, wenn man die Tramlinie 14 bis ans Ende nimmt.

Aber warum fragst du? Das ist doch des Pudels Kern. Was willst du eigentlich in Erfahrung bringen? Geht es darum, festzustellen, ob ein Mensch hier eine Daseinsberechtigung hat? Das ist meist die Stossrichtung, wenn insbesondere weisse Menschen die weniger weissen Menschen nach der „wahren Herkunft“ befragen. Was gerade in Zürich und im Gespräch mit mir der Ironie nicht entbehrt, denn ich bin von hier und die Person, die fragt, oft nicht.

Oder müssen wir aufgrund von Genetik in eine kulturelle Schublade gesteckt werden? Suchst du in mir eine Exotin, so mit dir unbekannte Bräuchen und womöglich südländischem Temperament? Wie ich das hasse, das scheiss „südländische Temperament“. Das ist die nervigste Thematik überhaupt. Noch einmal zum langsam mitschreiben: wir werden zu Angehörigen der Kultur, in der wir aufwachsen. Meine Genetik hat mir nicht auf magische Art die Kultur meines Vaters vererbt, weil ich nicht in ihr aufgewachsen bin. Ich esse Schweinefleisch, spreche kein Wort Arabisch und habe keine wahnsinnig hochstehende Meinung vom Patriarchat.

Wenn man wirklich wissen will, in welche kulturelle Schublade jemand gehört, dann ist die einzige Frage, die zu einer brauchbaren Antwort führt, die folgende: „wo hast du deine obligatorische Schulzeit absolviert?“

In Wiedike, motherfucker, do you know it?

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