„In the game of life and evolution there are three players at the table: human beings, nature, and machines. I am firmly on the side of nature. But nature, I suspect, is on the side of the machines.“ – George Dyson, historian
„Schreib doch auch mal aus der Perspektive derer, die das ganze digitale Zeugs ablehnen“, meinte neulich mein Arbeitskollege S., seines Zeichens erklärter Technophob. Natürlich arbeitet er, wie ich selbst, bei einer Softwarefirma. Ein kurzer Steckbrief: S. ist elf Jahre jünger als ich, auf dem Land aufgewachsen, und ständig am Telefon, wenn auch scheinbar gegen seinen Willen. Wenn man ihm eine Nachricht schreibt, beruflich oder privat, dann wartet man gerne mal ein Woche, bis eine Antwort zurückkommt. Falls man eine bekommt. Persönlich habe ich angefangen, nach meinen Nachrichten den Satz „Diese Mitteilung erfordert eine Antwort.“ anzufügen. Bisher mit eher mässigem Erfolg.
Es wird S. sehr amüsieren, dass ausgerechnet ich („ich bin eins mit der Maschine“) über das ganze Osterwochenende kein Internet hatte. Das Ungemach hat fast zwei Wochen gedauert. Und das mir! Zum Glück besitze ich Bücher und DVDs.
Aber zurück zu S. Wir sind in unserem digitalen Konsum diametral entgegengesetzt. Das erste Smartphone war für mich die Erfüllung eines Traums, den ich seit der ersten Begegnung mit Shadowrun geträumt hatte: die Maschine, immer dabei; grenzenlose Kommunikation, Information ständig verfügbar an meinen Fingerspitzen. Für mich ist das Smartphone Expansion und Befreiung.
S., auf der anderen Seite, fühlt sich geknechtet. Das Potential der ständigen Kommunikation setzt ihn psychisch unter Druck. Er hat Angst, die „reale“ Welt aus den Augen zu verlieren, weil er zu sehr mit seinem Handy beschäftigt ist. S. hasst Textnachrichten. Er möchte lieber von Angesicht zu Angesicht mit Menschen interagieren, sagt er. Er fürchtet, Technologie entfremdet uns. Er spricht in diesem Zusammenhang von „digitaler Demenz“, an der er leide, und die er als Unfähigkeit, zwischen virtuellen und „realen“ Welten zu unterscheiden, beschreibt.
Die Crux an der Sache
Was ich an unseren Unterhaltungen zu dem Thema immer spannend finde, sind konkret zwei Punkte:
- S. unterscheidet stark zwischen „realer“ und „virtueller“ Welt, egal, wer am anderen Ende der Leitung ist.
- Für S. wirkt Technologie isolierend, nicht verbindend.
Und hier kommen wir genau an den Punkt, an dem unser Verständnis enorm auseinander geht: ich unterscheide nicht zwischen „real“ und „virtuell“, wenn es um Menschen geht. Meine Freunde in Seattle sind reale Menschen. Ich spiele World of Warcraft mit realen Menschen. Ich sitze lieber im Zug und texte mit meiner Mutter, als von irgendeinem dahergelaufenen Subjekt schräg angequatscht zu werden, nur, weil es sich aus rein räumlichen Gründen ergibt. Meine Leute sind meine Leute, egal, ob ich sie physisch vor mir habe, oder wir an geographischer Inkompatibilität leiden. Ich mag meine Leute und unterhalte mich gerne mit ihnen. Ich kann diese Unterteilung auf der Basis des Kommunikationsmittels daher nicht begreifen.
„Was, wenn dein Traummann in den Zug einsteigt, und du ihn nicht einmal siehst, weil du auf dein Handy starrst?“, war die Sorge, die S. kürzlich geäussert hat. Da musste ich schmunzeln, denn mein Traummann sieht in etwa so aus:
Ich bin zuversichtlich, dass er mir auf jeden Fall ins Auge stechen würde. Aber dies nur am Rande.
Aber eben weil S. diese Unterscheidung macht, nimmt er scheinbar Leute, sobald sie nicht mehr in seinem Gesichtsfeld sind, nicht mehr als „real“ wahr. Und das verwirrt mich. Das habe ich auch kommen sehen, denn er hatte mich ja gebeten, aus der Perspektive von Menschen zu schreiben, die ich einfach tatsächlich nicht verstehe. Ich weiss nicht, warum wir aufhören sollten, real zu sein, nur weil wir den Raum verlassen. Geht ihm das wohl schon mit dem Telefonieren so, wo nur noch die Stimme übrig ist? Ich muss ihn bei Gelegenheit fragen.
Das Phänomen der Entfremdung ist nicht neu. Es ist ein Begleiteffekt des Kapitalismus, wie Marx es beschrieben hat. Als solches ist es ein Zeichen unserer Zeit, aber eben nicht seit den Smartphones, sondern seit der Industrialisierung. Auch die fortschreitende Isolation im Alter hat lange vor dem Internet eingesetzt, und zwar wiederum mit der Industrialisierung. Dass die Generationen nicht mehr unter einem Dach leben ist lediglich ein weiteres Resultat des kapitalistischen Systems, das uns auf unsere Produktivität beschränkt. Die, die können, müssen arbeiten, die Anderen werden ausgesteuert und an Orten untergebracht, wo man sie nicht sieht. Ist es da nicht toll, dass die Grossmutter ein Smartphone hat, damit man zumindest am Ende des Arbeitstages noch kurz über Facetime mit ihr plaudern kann?
Es tut mir ein bisschen leid, dass ich mich nicht in S.’s Standpunkt einfühlen kann. Aber nur ein bisschen. Ich habe nämlich auch den Eindruck, dass meine Haltung gegenüber der Maschine mich etwas glücklicher macht, als ihn seine. Glücklicher, gelassener, und näher mit den Menschen, die ich liebe, verbunden.
So, ich druck den Beitrag jetzt noch eben aus. Nicht, dass S. ihn am Ende noch online lesen muss.
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