Die NoBillag-Initiative, oder auch: postfaktische Politik

Gute Neuigkeiten! Die Abstimmungsunterlagen sind da! Jetzt, meine Damen und Herren, geht es um alles. Deshalb zur Einstimmung dieser kurze Text:


Präambel zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft

Im Namen Gottes des Allmächtigen!

Das Schweizervolk und die Kantone, in der Verantwortung gegenüber der Schöpfung, im Bestreben, den Bund zu erneuern, um Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt zu stärken, im Willen, in gegenseitiger Rücksichtnahme und Achtung ihre Vielfalt in der Einheit zu leben, im Bewusstsein der gemeinsamen Errungenschaften und der Verantwortung gegenüber den künftigen Generationen, gewiss, dass frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen,

geben sich folgende Verfassung: […]


Das da oben ist die Präambel zur Bundesverfassung. Deshalb ist sie so angeschrieben. „Präambel“ ist der elegantere Ausdruck für „Vorwort“, weshalb die Hälfte des Landes das Ding noch nie gelesen hat. Danach kommt diese religiöse Bekundung, die der Grund ist, warum die andere Hälfte des Landes die Präambel nicht gelesen hat. Aber lest sie doch jetzt mal. Ist okay, ich warte. Wir können nämlich stolz sein auf dieses Stück Verfassung. Ich habe mir die Freiheit genommen, zwei Passagen hervorzuheben. Der Grund dafür sollte sich aus dem folgenden Text ergeben.

Die Sache mit der Billag

Gelinde gesagt, mir reicht’s. Ich habe die Schnauze voll von den uninformierten Kommentaren zur NoBillag Initiative. Ja, die Billag ist problematisch in ihrem Auftreten. Ja, ihre Methoden sind zum Kotzen. Ja, sie haben tatsächlich nicht begriffen, dass sie einen Kundendienst leisten. Sie benehmen sich Scheisse, sie haben nicht das leiseste Taktgefühl und halten wohl allgemein nicht viel von normalen menschlichen Umgangsformen. Das ist alles korrekt. Nichts davon ist aber in irgend einer Form relevant. Denn es geht, mit Verlaub, nicht um die Billag.

Es geht um den Fortbestand des öffentlich-rechtlichen Radios und Fernsehens, eines Grundpfeilers jeder gesunden Demokratie.

Es war ein cleverer Schachzug, die Initiative „NoBillag“ zu nennen, und nicht etwa „NoSRF“ oder „NoSRG“. Die Billag ist, wie oben dargestellt, ein idealer Buhmann. Wir alle hassen sie. Alle. Und dann wollen die jedes Jahr 460 CHF? Für was eigentlich? Ha! Ja, eben, da kommen wir zu des Pudels Kern: für das Schweizer Radio und Fernsehen. Und da geht es nun mal um viel mehr als nur Tennis mit Federer und Glanz und Gloria.

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Wer ist eigentlich diese SRG?

Die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft, SRG, ist ein Verein, der unter einen öffentlichen Auftrag, einer sogenannten Konzession, des Schweizerischen Bundes operiert. Das bedeutet, dass die SRG zwar regierungsunabhängig ihr Programm gestalten darf, dabei aber einen Service Public leisten muss und spezifische Auflagen zu erfüllen hat. Diese beinhalten beispielsweise folgende Punkte:

  • Die Programmleistungen werden gleichwertig in allen Amtssprachen erbracht.
  • In ihren Programmen fördert die SRG „das Verständnis, den Zusammenhalt und den Austausch unter den Landesteilen, Sprachgemeinschaften, Kulturen, Religionen und den gesellschaftlichen Gruppierungen“.
  • Sie fördert die Integration der Ausländer/innen und gewährleistet den Kontakt der Auslandschweizer/innen zur Heimat.
  • Sie fördert im Ausland die Präsenz der Schweiz und das Verständnis für deren Anliegen.
  • Die SRG ist der „freien Meinungsbildung des Publikums durch umfassende, vielfältige und sachgerechte Information insbesondere über politische, wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge“ verpflichtet.
  • Sie hat zur „zur Stärkung der kulturellen Werte des Landes sowie zur Förderung der schweizerischen Kultur unter besonderer Berücksichtigung der Schweizer Literatur sowie des Schweizer Musik- und Filmschaffens“ beizutragen, und diesen einen priorisierten Platz im Programm zu zuerkennen.

Es wird auch stipuliert, wie die SRG diesem Auftrag gerecht zu werden hat. Unter anderem durch:

  • einen hohen Anteil an vielfältigen und innovativen Eigenproduktionen, die einen Beitrag zur schweizerischen Identität leisten;
  • die Vergabe eines angemessenen Anteils von Aufträgen an die Veranstalter-unabhängige schweizerische audiovisuelle Industrie;
  • einen angemessenen Anteil an Sendungen für hör- und sehbehinderte Menschen.

Die meisten Punkte habe ich direkt aus der Konzession von 2007 kopiert, die ich euch natürlich auch gerne in voller Länge zur Verfügung stelle. Mit anderen Worten: „Der Bestatter“ ist nicht eine Frivolität, die sich die SRG mal eben so leistet; Sendungen wie diese gehören zum Leistungsauftrag, den der Bundesrat vergeben hat.

Noch einmal zum mitschreiben: die SRG ist verpflichtet, durch umfassende und faktisch akkurate Berichterstattung in allen Amtssprachen das Volk bei der freien Meinungsbildung zu unterstützen und ihre Sendungen für Menschen mit Behinderung zugänglich zu machen. Kein Privatsender unterliegt diesen Auflagen.  Wer jetzt nicht begreift, was wir verlieren, wenn die SRG den Betrieb einstellen muss, der versteht weder unsere Verfassung, noch das Konzept von Demokratie.

Und als ob all das nicht genug wäre, muss man auch noch anmerken, dass der Koloss SRG nicht der Einzige ist, der Geld aus der Fernseh- und Radiogebühr bekommt. Diese regionalen Sender bekommen auch ein Stück vom Kuchen:

SNAG-0004

„Komplementäre Radiostationen“ sind übrigens – ich musste es selbst nachschlagen – nicht-kommerzielle Sender, oft von Freiwilligen betrieben, die gerne ein Programm fernab des Mainstreams betreiben. Persönlich bin ich lediglich mit Radio LoRa vertraut, das seit 1981 auf Sendung ist. Mit anderen Worten, es handelt sich hier genau um diese kleinen Leute, die man doch so gerne unterstützen will. Die sind aus der Region und machen Programm für die Region. Unbezahlt und freiwillig! Ist das nicht toll und fördernswert? Ich meine, wen sonst interessiert es schon, was in Aargau Mitte passiert?

Die Sache mit Solidarität

Grüezi, bonjour, buongiorno, bun di. Wir sind die Schweiz und wir haben vier Landessprachen. Die Einen sind etwas gesprochener als die Anderen. Die SRG hat, wie oben erwähnt, den Auftrag, allen Regionen gerecht zu werden. Das fordert insbesondere von der Deutschschweiz einen Solidaritätsbeitrag an die anderen Sprachregionen. Um nämlich ihr eigenes Programm am Laufen zu halten, könnten die Deutschschweizer Haushalte nur 289 CHF bezahlen anstatt der zurzeit geltenden 460 CHF. Die französischsprachige Schweiz würde aber bereits mit 602 CHF belastet, und für die Tessiner/innen wären es unerschwingliche 2185 CHF. Wer findet, es interessiere ihn nicht, wie es Anderen geht, der geht jetzt noch einmal die Präambel lesen und lässt sich das Wort „Willensnation“ erklären. Und wer dann immer noch gerne ein egoistisches Arschloch ist, der sollte in die USA auswandern.

Auch diese Zahlen habe ich mir übrigens nicht aus dem Arsch gezogen. Sie entstammen dem Bericht des Bundesrates vom 17. Juni 2016 in Erfüllung des Postulates 14.3298 der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Ständerates (KVF-S).

Sprachregionen

Die Alternative

Die gibt es nicht. Was auch immer die Initianten der Vorlage versprochen haben, es gibt kein Notfall-Szenario, kein Netz, keinen doppelten Boden, und erst recht keinen Ersatz für die SRG. Sollte die Initiative angenommen werden, schauen die Deutschschweizer/innen in Zukunft deutsche Sender, die Leute in der Romandie französische und die Tessiner/innen italienisches Fernsehen. Die Rätoroman/innen haben Pech, die haben dann nämlich einfach kein Fernsehprogramm mehr. So geht es Sprachregionen mit geringer Bevölkerung in der freien Marktwirtschaft. Das ist Kapitalismus. Wir haben dann auch keine unabhängigen Medien mehr. Die privaten Sender können das Programm machen, dass ihre Geldgeber aus Politik, Wirtschaft und Industrie wünschen. Dann gibt es, wie in den USA, plötzlich keine Erderwärmung mehr, rauchen ist wieder gesund (China) und  alle Flüchtlinge sind kriminell (siehe auch unten).  Menschen mit Behinderung können selber schauen, wo sie bleiben. Die Schweizer Kulturlandschaft wäre ein Ding der Vergangenheit.

Wer von der Abschaffung profitiert

„Aber Sabrina“, wirfst du ein, „diese Initiative schadet uns doch allen! Wer hätte denn unter diesen Umständen überhaupt was von der Abschaffung der SRG?“ Ich bin froh, dass du fragst! Ich bin nicht sicher, ob es den Leuten aufgefallen ist, dass Herr Blocher – seines Zeichens einer von nur drei Bundesräten, die in der Geschichte der Schweiz jemals abgewählt wurden – in den letzten Jahren so ein, zwei, mehrere Zeitungen aufgekauft hat. Die Prominenteste davon ist sicher die Basler Zeitung (BaZ), die durch den Kauf der Titel des Zehnder-Verlags auch in den Besitz von 25 gratis-Wochenzeitungen aus der ganzen Schweiz gelangt ist. Natürlich kann man sich jetzt darüber lustig machen, dass die Reichweiten der See und Gaster Zeitung oder auch der Lenzburger Nachrichten vergleichsweise gering sind; aber auch Kleinvieh macht Mist. Und wenn wir uns die politische Landschaft der Schweiz anschauen wird klar, dass gerade in ländlichen Gegenden den regionalen Medien ein relativ grosses Vertrauen entgegengebracht wird – im Vergleich zu den grosskotzigen Stadtmedien, zum Beispiel. Und da wir in einem Land leben, in dem ein Ständemehr noch immer notwendig ist, um die Verfassung anzupassen oder Initiativen erfolgreich zu Gesetzen zu machen, zählt die Meinung des Lesers der Neuen Oltner Zeitung etwa das Fünffache einer Leserin des Tagesanzeigers.

Natürlich bemühte man sich zu versichern, dass die Redaktionen dieser Regionalblätter weiterhin „unabhängig“ seien. Wie meine Schwester sagen würde: „Hani au Angscht.“ Das war Sarkasmus.

Fazit

Ich hätte noch endlos weiter schreiben können. Vom Beispiel Italien oder den USA, oder von den Arbeitsplätzen, die wir verlieren würden. Aber ich habe fertig, wie Flasche leer. Hier also eine Zusammenfassung.

Ja, die Billag ist Scheisse, das ist aber völlig egal, denn ihre Tage sind sowieso gezählt. Ein neuer Dienstleister übernimmt ihre Aufgabe per 2019. Dieser Wechsel hat rein gar nichts mit der Initiative zu tun. Der Name der Initiative ist eine Lüge: es geht nicht um die Abschaffung der Billag, sondern um die Abschaffung der SRG. Das ist die natürliche Konsequenz beim Erfolg des Ansinnens. Das muss Jedem/Jeder bewusst sein, der/die abstimmen geht.

Die SRG ist nicht perfekt. Sie hat sich in den letzten Jahren Feinde gemacht durch scheinbar verschwenderisches Verhalten. Aber muss man denn das Kind mit dem Bad ausschütten? Eine solche ganz-oder-gar-nicht-Herangehensweise bringt nichts. Schliesslich brennen wir auch nicht das ganze Haus nieder, nur weil die Tapete zu teuer war.

Zusätzlich spielt hier einmal mehr die Stadt/Land-Kluft, denn Kulturschaffende werden vom gewöhnlichen Büezer gerne als elitär verschrien. Dazu möchte ich lediglich anmerken, dass ich auch in Zukunft zu meiner Übertragung von Opern und Olympiaden komme; für’s Schwingen und den Samschtigs-Jass sieht’s ohne SRG allerdings schiter aus. Wir sollten nach Möglichkeit versuchen, uns nicht ins eigene Bein zu schiessen.

Das Nein zur NoBillag Initiative ist nichts weniger als unsere demokratische Pflicht. Wer sich dieser nicht gewachsen fühlt, sollte sich enthalten.

Fernsehstudio des SRF in Zürich-Oerlikon
Fernsehstudio des SRF in Oerlikon.

Eine Antwort auf „Die NoBillag-Initiative, oder auch: postfaktische Politik

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  1. Gut geschrieben, Sabrina, wenn auch ordentlich gepfeffert. Aber ich bin ganz deiner Meinung und das NEIN zu NoBillag ist schon in meinem Stimmcouvert. Zum grössten Teil aus den genannten Gründen, wie Wegfallen der Vielfalt, fehlendes Solidaritätsdenken mit den anderen Landesteilen, Benachteiligung der Minderheiten und Behinderten und… und… und… bei Annahme der Initiative.

    Was ich noch unterstreichen möchte, ist der Umstand, dass in letzter Zeit immer mehr (auch bei der Diskussion zur Abstimmung der Bundessteuer ist mir das aufgefallen) darauf gedrängt wird, möglichst viel dem freien Markt zu überlassen, dieser regelt es dann schon irgendwie. Dass der freie Markt aber immer geldabhängig ist, sprich nur für die interessant ist, die mit dem Geld um sich schmeissen können, scheint die „Votanten“ nicht zu interessieren…, meistens können die sich ihre Vorstellung ja auch leisten. Aber wer kein oder wenig Geld hat oder eingeschränkt ist, kommt im freien Markt immer unter die Räder.

    Das „Erbe unserer Väter“, dass ich je länger, umso mehr schätzen lerne (–> Präambel sei Dank!), geht leider verloren und damit auch ein Stück Schweiz. Hoffentlich findet hier mal wieder ein Umdenken statt.

    Nochmals danke für deinen Post.

    Lieber Gruss
    Stefan

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